Ägypten, prädynastisches Artefakt?

Vorweg:
Dieser Fund stammt aus einer Zeit, in der ich steinzeitliche Artefakte seltsamerweise noch nicht mit Archäologie in Verbindung gebracht habe. In meiner weiteren Verwandschaft gab es jemanden, der „überall“ und „andauernd“ Pfeilspitzen fand. Und ich war hocherfreut, „nun auch mal was Steinzeitliches“ entdeckt zu haben. Insofern habe ich das Stück gedankenlos eingesammelt. Erst Jahrzehnte später habe ich mich mit meinem Fund näher beschäftigt.

Fundumstände:
Oberflächenfund bei einem Spaziergang an Ackerflächen entlang irgendwo im Norden des Fayum-Beckens. Ich wollte einen vermeintlichen Ibis fotografieren.

Meine damalige Gedankenlosigkeit macht nun nicht nur eine Einordnung schwer, sondern auch – falls es sich denn tatsächlich um ein Artefakt handelt – eine Rückführung unsinnig, da der genaue Fundort nicht mehr zu identifizieren ist.

Aber ob es sich wirklich um ein Artefakt handelt, wüsste ich doch gern. Vergleichsfunde legen das anscheinend nahe. Hier zunächst Abbildungen aus Publikationen.

LG Barbara

Vergleichsfund Fayum:

Vergleichsfund Fayum:

Vergleichsfund Wadi el-Sheik (südlich Fayum):

Eine mögliche Einordnung nach wahrscheinlichem Fundort hier:
https://www.ucl.ac.uk/museums-static/digitalegypt//fayum/fayumb.html

Und abschließend angehängt mein Fund:

Hallo Barbara,

es handelt sich eindeutig um ein Artefakt. Dorsal sind die Grate der vorangehenden Abschläge zu sehen. Ventral ist eine Schlagnarbe vorhanden. Ob es sich um ein Gerät gehandelt hat, ist wohl nicht mehr so eindeutig zu sagen. Die Absplisse an den Kanten sehen nicht gewollt aus. Ein Abschlag ist es aber allemal.
Du hättest das Artefakt nicht ausführen dürfen, eine Rückführung wäre aber, wie du schon schreibst, nicht wirklich nötig, denke ich.

Viele Grüße

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SvenHorn schrieb:

Du hättest das Artefakt nicht ausführen dürfen

Hallo Sven,

zu meiner Entschuldigung kann ich nur sagen, dass ein solcher Fund damals für mich gleichbedeutend war wie der Fund eines versteinerten Seeigels. Bei einem gut gearbeiteten Steinbeil hätte ich dann aber wahrscheinlich doch eine andere „Schublade“ aufgezogen.

Für mein Verständnis:

Wenn beide Seiten Bearbeitungsspuren aufweisen, wäre das Teil als „Kern“ zu bezeichnen, richtig?

Und ein „Kern“ ist noch kein fertiges Werkzeug, auch richtig?

Die „Absplisse“ an der Rundung hälst du nicht für beabsichtigt. Dabei waren es wohl genau diese „Sägezähnchen“, die meinen Blick festgehalten hatten.

Aber wenn ich mir diese Rundung vorstelle, wie sie wohl direkt nach den großen Anschlägen ausgesehen haben mag, dann wäre das wohl eine schärfere Kante gewesen. Und kleinere Randabschläge hätte man wohl nur für eine beidseitig gewölbte Form wie bei Pfeilspitzen gemacht? Siehe hier:

https://en.wikipedia.org/wiki/Middle\_Stone\_Age#/media/File:Blombos\_point.JPG

LG Barbara

Hallo Barbara,

im Prinzip siehst du das richtig, nur dass es eben nicht ganz so einfach ist. 
Dein Stück weist ja auch auf beiden Seiten Bearbeitungsspuren auf, aber wenn die Ventralseite weitere Abschlagsnegative hätte, wäre es ein Kern. Und es gibt Kerngeräte (vorwiegend im Paläolithikum) und Geräte, die aus Abschlägen gefertigt wurden. Dabei wurden in der Regel Retuschen (feine Randabschläge) angelegt. Diese dienten dann sowohl als Arbeitskante, als auch zur Formgebung als Fingerschutz und zur Schäftung und sind gleichmäßiger als die Absplisse an deinem Fund. Aber auch nicht retuschierte Lateralen dienten als Arbeitskante.
Pfeilspitzen stellen eine Besonderheit dar, da wurden beide Seiten von Klingenabschlägen bearbeitet. Das sind dann aber keine Kerngeräte.
Bei der Herstellung von Klingenabschlägen entstanden auch Kerne, diese wurden aber in der Regel  nicht als Geräte genutzt, waren nicht Ziel der Bearbeitung.

Viele Grüße

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Moin,

im Wesentlichen stimme ich Svens Bestimmung / Ausführung zu.

Einzige Unsicherheit (meinerseits) zu dem Satz “Dorsal sind die Grate der vorangehenden
Abschläge zu sehen.”

Ob das auf alle Grate bzw. Abbaubahnen zutrifft, bin ich mir unsicher, die mittlere Bahn
könnte auch eine Altfläche sein. Spielt hier aber keine große Rolle.

Was nicht gut zu erkennen ist, ob der Schlagflächenrest von einer präparierten Schlagfläche ist
oder eine natürliche Altfläche.

Per Definition ist es ein Abschlag und ein Abschlag ist ein Artefakt.

Abschlag: lat. ars (Art) “Kunst/Handwerk” und factum “Tat/Handlung”,
In der Archäologie: von Menschen gemachter Gegenstand.

Dabei ist es egal ob der Abschlag ein zugerichtetes Werkzeug ist oder lediglich ein Abfallstück
zur Erlangung eines anderen Produktes íst, es ist ein Artefakt.

Ganz kleiner, unvollständiger Exkurs zur Darstellung von Artefakten.

Die drei Hauptansichten > Reihenfolge der Ansichten

Werden die drei Hauptansichten, Dorsal-, Lateral- und Ventralseite gezeigt, wird die Dorsalseite immer nach links gestellt; rechts daneben kommt die rechte Seitenansicht, ganz rechts die Ventralseite.

Seitenansichten müssen immer neben die zugehörige Seitenkante gestellt werden.

Hauptansichten sind als 90°-Frontalansichten abzubilden.

Die optionalen Hauptansichten

Zusätzlich zu den drei Ansichten (Dorsal-, Lateral- und Ventralseite) können weitere Ansichten erstellt werden, sie sollen zur Vervollständigung oder Verdeutlichung beitragen. Hierzu gehören z. B. die zweite Seitenansicht, Drauf-/Untersicht sowie verschiedene Perspektiven und Querschnitte als Zeichnung.

Hier ein paar Erläuterungen an dem vorgestellten Artefakt.

Bei Abschlägen und Klingen wird der Bulbus / Schlagfläche / Schlagflächenrest stets nach unten ausgerichtet = Basis nach unten.

Unten die drei Hauptansichten in der korrekten

Es scheint mir, als ob an diesem Artefakt der Bulbus durch die sehr große Schlagnarbe (Sven erwähnt sie eingangs) reduziert wurde.

So etwas passiert mit einen einzigen Schlag - also gleichzeitig mit dem Abtrennen des Abschlages
wird der Bulbus durch die Schlagnarbe reduziert.

Oft sind diese Schlagnarben nur kleine Aussplitterungen auf dem Bulbus unterhalb des Schlagpunktes.

Anmerkung zur Abwicklung/Drehung der Ansichten.

Der Betrachter der ein Artefakt in der Hand hält kann es drehen und wenden und sieht die verschiedenen Ansichten in ihrem Zusammenhang.

Mitunter werden von Objekten eine Vielzahl Fotos (unter- nebeneinander) gezeigt, werden gedreht, gewendet oder gar unvermittelt auch auf den Kopf gestellt und wieder umgekehrt, ohne dass der Betrachter weiß wie die Lage und Ausrichtungen der Bilder zueinander gehören.

Selbst derjenige, der über ein gutes Vorstellungsvermögen verfügt, hat es dadurch schwer sich ein komplettes 3-D- Bild im Geiste zusammen zu fügen.

Bei der Darstellung von Artefakten - Ausrichtung und Abwicklung (Drehung) - richte ich mich
nach Stephan Veil: “Hinweise zum Zeichnen von Steinartefakten”.

Gruß
Jürgen

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@StoneMan

Deine illustrative Zusammenstellung ist wirklich sehr hilfreich! Denn jetzt kann ich, mit meinem eigenen Stück vor Augen, bestimmte Sachverhalte besser nachvollziehen.

Mein Dank wird euch beiden ewig nachschleichen! :wink:

LG Barbara

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