(Un-)Zulässigkeit von gewissen Quellen bei "korrektem" wissenschaftlichem Arbeiten

Folgende Frage zum Thema wissenschaftliches Arbeiten: A und B diskutieren über eine Arbeit über die Awaren; konkret geht es um die Unterscheidung zwischen der Frage nach der Herkunft der Awaren (Mitglieder der Rouran? Allianz von Var und Khuni? Hephtaliten?) von der Frage nach der ethnischen Zusammensetzung des Awarischen Reiches. 

In der Arbeit findet sich folgender Satz: “Anthropologische Untersuchungen zahlreicher awarischer Friedhöfe zeichnen das Gesamtbild einer Bevölkerung die aus drei Gruppen besteht; nur eine davon ist rein asiatischer Herkunft; eine zweite ist gemischtrassig (Tungide) und die dritte ist europäisch geprägt.” Als Quelle für diesen Satz wurde angeführt: “László Bartucz: A magyaroszági avarok faji összetétele és ethikai jelentôsége (1934) Ethnographia 45: 101-110” Die Quelle ist nur auf ungarisch verfügbar und eine vollständige Übersetzung wäre zu teuer.

A behauptet, dass der Satz an sich - zwar simplifizierend aber - (immernoch) korrekt sei und dass die Quelle legitim sei. Bartucz sei kein Nazi gewesen, seine Arbeit sei angesehen und bis heute viel zitiert. B lehnt den Satz an sich ab, weil er eine Bevölkerung rassisch einordne und vor allem sei die Quelle sowohl zu alt wie auch “politisch unkorrekt”; überspitzt formuliert sei das wie ein Argument mit genetischen Untersuchungen aus Nürnberg von 1935 zu untermauern. Laut A verliert eine solche Quelle mit der Zeit nicht automatisch an Bedeutung; neuere Arbeiten würden zwar neue Detailerkenntnisse bringen aber die Grundaussage von 1934 nicht ändern; Gebeine würden nicht immer wieder untersucht - zum Teil sei das auch gar nicht möglich; (Nicht nur aus diesem Grund) sei die Verwendung dieser alten Quelle geboten.

Der Satz ist für die Arbeit unentbehrlich und andere Quellen die ihn untermauern lassen sich nicht finden.

Dürfte ich Euren Input haben ob sich der Streit zwischen A und B schlichten lässt - insbesondere der Aspekt “korrektes wissenschaftliches Arbeiten”: Darf man sich bei diesem ganz konkreten Thema auf so alte Quellen stützen - noch dazu wenn zwar kein unmittelbares Naheverhältnis zum Nationalsozialismus besteht aber doch eine gewisse zeitliche Nähe? Danke! 

Hmm…interessante und gute Frage. Es tangiert den Punkt, dass oft vergessen wird, dass Wissenschaftler auch Menschen sind mit allen guten und schlechten Eigenschaften von Menschen. Wissenschaft ist somit auch stets Subjektiv (ja auch Naturwissenschaften). Doch genau darin liegt die Stärke jeder Wissenschaft.

Jetzt zum konkreten Fall: Wer arbeitet denn noch so? Keiner ordnet methodisch noch Bevölkerungsgruppen nach Rassen. Was ist denn der Sinn oder der wissenschaftliche Mehrwert. Das bringt doch nur was, wenn man “rassischen” Merkmalen bestimmte Eigenschaften zuordnet. Die Diskussion ist so aus der Zeit gefallen und bringt für die Diskussion um die Awaren NULL. Selbst wenn ich mir diese Frage stelle, wäre ich eher bei B. Die Äußerung an sich verliert nicht automatisch an Wert, doch wenn die Methode nicht vernünftig dargestellt ist und ich gerade vor diesem historischen Hintergrund, die Methodik nicht nachprüfen kann, ist die Aussage wertlos, da nach heutigem Standard unwissenschaftlich.

…Das bringt doch nur was, wenn man “rassischen” Merkmalen bestimmte Eigenschaften zuordnet…

Die Logik dieses Satzes erschließt sich mir nicht. Warum muss jemand (A), der sagt, dass eine Bevölkerungsgruppe asiatischer Herkunft sei und eine andere europäisch geprägt sei, (damit? deswegen?) der einen oder der anderen Bevölkerungsgruppe eine Eigenschaft zuordnen? Die Aussage ist, dass die erste Gruppe ihren Ursprung in Asien hat und die zweite in Europa - nicht mehr und nicht weniger. Die Aussage des Satzes ist NICHT, dass die erste besser/schlechter sei als die zweite oder dass sie sonst irgendeine Eigenschaft (nicht) habe.

…Die Diskussion ist so aus der Zeit gefallen und bringt für die Diskussion um die Awaren NULL…

“Aus der Zeit gefallen” ist die Diskussion offensichtlich nicht, denn die Quelle wird bis heute zitiert. Aber ich räume ein: Das allein ist kein Argument. Aber genauso ist es eben kein Argument sich einfach so hinzustellen und zu postulieren, dass die Diskussion “aus der Zeit gefallen” sei.

Und was die Diskussion für die Diskussion um die Awaren bringt: Die Arbeit soll die beiden Fragen “Woher kamen die Awaren?” und “Wie setzte sich die Bevölkerung des Awarischen Reiches ethnisch zusammen” voneinander trennen.

Ich muss wohl noch ergänzen, dass der umstrittene Satz (“Anthropologische Untersuchungen zahlreicher awarischer Friedhöfe zeichnen das Gesamtbild einer Bevölkerung die…”) natürlich nur ein Fragment der Arbeit darstellt. Er und die dazugehörige Quelle wurden quasi als Einstieg in ein Kapitel gewählt - anstatt neuerer aber auch komplexerer Studien; aber - und das ist wohl ein entscheidender Punkt - auch letztere sprechen immernoch von “Mongolid population” (siehe z.B. die Arbeiten von Kinga Éry - um eine Autorin zu verwenden, deren Arbeit auch auf Englisch verfügbar ist); dabei ist eine solche Terminologie sicher noch eher “aus der Zeit gefallen” als die Aussage dass ein Bevölkerungsteil asiatischer Herkunft sei.

Die wissenschaftliche Quelle ist das anthropologische Material und nicht die darüber geschriebene Arbeit. Dabei handelt es sich sozusagen um Sekundärliteratur. Deren Aktualität und Korrektheit kann immer wieder neu in der wissenschaftlichen Diskussion bewertet werden. Hilfreich ist eine Einordnung der Aussagen, die jedoch auch immer subjektiv und der Zeit geschuldet Moden unterworfen sein wird. Zitierte Literatur sollte ohnehin nie ungeprüft und ohne eigenständige Bewertung weiter verwendet werden.

@Markko

Deine ursprüngliche Frage nach “korrektem, wissenschaftlichem Arbeiten” kannst eigentlich, im Hinblick auf den zitierten Satz, nur Du selbst beantworten. Du hast die Quelle gelesen und mußt beurteilen können ob die Methodik vernünftig dargestellt ist und wissenschaftlichen Anforderungen entspricht.
Wenn Du selbst durch Deine Recherchen die Aussage von “A”, Bartucz sei kein Nazi gewesen, seine Arbeit sei angesehen und bis heute viel zitiert, unterstreichen kannst und keine stichhaltigen, gegenteiligen Forschungsergebnisse vorliegen, dann kannst Du doch Bartucz ohneweiteres zitieren. 
Du mußt ja auch nicht große Textpassagen übersetzen, sondern kannst mit eigenen Worten erklären auf was sich die Untersuchung stützt. Wichtig ist die Beurteilung ob die Kriterien bis heute in der Wissenschaft anerkannt oder als Unsinn entlarvt sind ?
Unter dieser Vorraussetzung schließe ich mich da der Meinung von “A” an.
Die Frage von p.b., was das für die Diskussion um die Awaren bringt, erschließt sich mir auch nicht. Wenn es eine Diskussion über die Herkunft gibt, dann ist es schon aufschlußreich ob wirklich ein Bevölkerungsanteil_ _Mongolen waren und somit die Geschichtsüberlieferung in diesem Punkt bestätigt wird. 
Es sollen hier ja auch keine bestimmten Eigenschaften einer “Rasse”, zu welchem Zweck auch immer, dargelegt werden, sondern z.Bsp. die Frage ob die Urheber der Invasion nach Westen eben tatsächlich Mongolen waren. Da die Mongolen die am weitesten östlich beheimateten waren darf man, auch gestützt auf andere Hinweise, schlußfolgern, dass sie die ursprünglichen “Awaren” darstellen und dabei ist es egal ob sich diese “Führungsschicht” später auf dem Weg nach Westen ethnisch anders zusammensetzte. An Ausdrücke wie Rasse oder mongoloid würde ich mich da nicht stören, denn ausschlaggebend ist die “wissenschaftliche” Arbeit und nicht die jeweils damalige oder heutige Terminologie.

Gruß
Kurti

Klar könnte ihr das Halten wie die Dachdecker. Doch sind solche Fragen und Themen eher von Vorgestern.

Doch schon Wikipedia weiß:

Die exakte Herkunft jenes Volkes, das im 6. Jahrhundert nördlich des Schwarzen Meeres in Erscheinung trat und bald darauf ein bis ins 9. Jahrhundert bestehendes Reich zwischen Alpen und Karpaten begründete ist jedoch insofern nur von eingeschränkter Bedeutung, als es im Laufe der kommenden 250 Jahre zunehmend ethnisch heterogen wurde. Der Begriff „Aware“ wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits ab etwa 600 synonym für die Oberschicht des Awarischen Reiches verwendet und sagte somit zunehmend wenig über die Herkunft denn über den Status einer Person aus. Im 7. Jahrhundert bezeichneten sich auch Bulgaren, Gepiden und Slawen des Awarenreiches als Awaren, wenn sie es geschafft hatten zur herrschenden Klasse aufzusteigen.

 

Deshalb ist die Diskussion aus der Zeit gefallen, aber schön, wems Spaß macht. Interessiert nur keinen Wissenschaftler mehr, außer ein paar Gestrige, die die mongolische Herkunft bezweifeln. Kann man schön lesen bei: W. Pohl, Die Awaren _(_München 2002).

 

Doch schon Wikipedia weiß:…

Du wirst lachen p.b., aber genau um diesen Absatz geht es; die Vermischung der Awaren ab dem 6. Jhdt. mit Bulgaren, Gepiden und Slawen soll einerseits belegt/bewiesen werden und andererseits (viel) exakter erörtert werden. (Wobei diese beiden Ziele gleichwertig sind - beide müssen erreicht werden.) Und genau zur Erreichung dieser beiden Ziele wurde - unter anderem - der umstrittene Satz (“Anthropologische Untersuchungen zahlreicher awarischer Friedhöfe zeichnen das Gesamtbild einer Bevölkerung die…”) gebraucht - quasi als Einleitung. Historische Quellen gibt es zu genüge - ein paar andere, bevorzugt naturwissenschaftliche, sollten her! (Ich befürchte auch Pohls Werk bietet in erster Linie nur eine Sammlung historischer Quellen - allenfalls mit ein paar Spränklern von Quellen über Kunst- und Kulturausgrabungen.)

Und hierfür stellt sich eben die eingangs wiedergegebene Frage: Ist der umstrittene Satz korrekt und vor allem: Ist die für ihn verwendete Quelle zu alt und “politisch unkorrekt”? Ist die Wiedergabe des Satzes und die Verwendung dieser Quelle bei diesem ganz konkreten Thema “korrektes wissenschaftliches Arbeiten” - oder vielleicht sogar vom Standpunkt korrektes wissenschaftliches Arbeiten her geboten (wie A dies behauptet)?

(Zum Thema “interessiert keinen Wissenschaftler mehr” und “gestrig” möchte ich noch zwei Dinge loswerden: Erstens, auf der ganzen Welt werden (immernoch) Schädel- und andere Knochen vermessen um zu sehen mit wem (wo) Gemeinsamkeiten bestehen. DAS ist sicher noch aktuell. Allenfalls die Ergebnisse dann in “Mongolid population” odgl. einzuordnen - das ist unaktuell. Es handelt sich bei letzterem um “damalige oder heutige Terminologie”, wie kurti richtig sagt. Zweitens: B bezweifelt nicht, dass sich die Awaren ab 600 mit anderen Gruppen vermischten; aber zur - naturwissenschaftlichen - Substantiierung der Aussage (belegen/beweisen einerseits und exakter erörtern andererseits) sieht er den umstrittenen Satz und die dafür verwendete Quelle als völlig ungeeignet.

Deine ursprüngliche Frage … kannst eigentlich, im Hinblick auf den zitierten Satz, nur Du selbst beantworten…

kurti, wenn das bloß eine Lösung für A wäre… :frowning:

Im Übrigen bin ich aber voll und ganz Deiner Meinung!

Hilfreich ist eine Einordnung der Aussagen, die jedoch auch immer subjektiv und der Zeit geschuldet Moden unterworfen sein wird. Zitierte Literatur sollte ohnehin nie ungeprüft und ohne eigenständige Bewertung weiter verwendet werden.

Asper, ich glaube da wird Dir niemand widersprechen; gesucht ist aber eben eine Lösung für die Meinungsverschiedenheit zwischen A und B (siehe oben).

Nochmals: So wie ich das sehe, sind sich in zwei ganz ganz fundamentalen Punkten dieser Diskussion, alle hier (p.b., kurti, Asper, A und sogar B ) einig: “Die Awaren” waren ursprünglich Mongolen aber wurden - beginnend mit dem Jahr 600 - immer inhomogener. Aber die Frage ist, wie belegt/beweist A das nicht nur reinhistorisch und wie erörtert er das exakter und mit nicht rein historischen Quellen?

Naja, das wird ja auch heute noch z.T. gemacht, ehtnische Deutungen vorzunehmen, z.B. im Grenzraum zwischen Sachsen und Franken… Allerdings ist das höchst umstritten! Ein ehtnischer Sache (da müsste man erstmal definieren, was das nun genau ist) konnte sich meiner Meinung nach problemlos als Franke fühlen und umgekehrt. Ich sehe da eine große Fehlergefahr zu versuchen, ehtnische Deutungen am Fundmaterial vorzunehmen bzw. aufgrund weniger Knochenanalysen eindas Gefüge eines ganzen Reiches konstatieren zu wollen…

Zudem: Auf welcher Grundlage wurden denn die anthropologischen Untersuchungen durchgeführt? Sind die Merkmale, mit der “Asiaten”, “Gemischte” und “Europäer” damals voneinander abgegrenzt wurden überhaupt haltbar und wie definierte man da genau die einzelnen Gruppen? Wieviele Skelette wurden untersucht und vor allem, wie vollständig waren die? Auf welchen Bevölkerungsteil der Awaren lässt sich diese Untersuchung übertragen? Also waren es besondes reiche Gräber, oder ein Querschnitt durch alle sozialen Schichten? Vor allem: Könnten neuere genetische Untersuchungen diese Ergebnisse untermauern? Oder wurde das sogar schon gemacht?

Bevor du nicht diese und weitere Fragen beantworten kannst, reicht das Zitat gewiss nicht aus, um eine ganze Theorie zu untermauern, so wie du schreibst ist ja der eine Satz essentiellfür die ganze Theorie. Das ist doch etwas mau.

Zumal ich mir vorstellen kann, unabhängig davon, wie sinnig so eine Diskussion nun ist oder nicht, sich die Zusammensetzung der Gruppen auch regional stark verändern kann. Ähnlich wie bei den Römern :slight_smile:

 

Bevor du nicht diese und weitere Fragen beantworten kannst, reicht das Zitat gewiss nicht aus, um eine ganze Theorie zu untermauern

Die fragliche Arbeit beschränkt sich natürlich nicht auf den umstrittenen Satz - nach dieser Einleitung wird - unter Anderem - darauf eingegangen, dass andere/spätere Untersuchungen mehr (und auch andere Typen von) Gräber berücksichtigten, insbesondere nicht nur Gräber aus dem 7. Jhdt. usw. Aber laut A änderten all diese anderen/späteren Untersuchungen nichts an der Grundaussage von 1934; sie würden nur neue Detailerkenntnisse bringen; DAS (und nicht etwa der Umstand, dass es keine anderen Quellen für diese “These” gäbe!) ist einer der Gründe warum der Satz für die Arbeit unentbehrlich ist.