Menschenbilder „Made in Halle“

Das Epizentrum der Archäologie liegt derzeit in Halle an der Saale. Die Himmelsscheibe von Nebra ist der Star. Dieser bronzezeitliche Fixstern prangt jedoch nicht allein am hallenser Archäologen-Himmel. Das hiesige Landesmuseum hat mit viel Energie und Leidenschaft die in Studiensammlungen und Depots verbannten vorzeitlichen Kostbarkeiten Mitteldeutschlands für uns wachgeküßt. Hierfür gilt unser Dank. Denn die offensive Vorgehensweise, mit der das „Geheimwissen“ der Archäologen von der Saale-Stadt aus einer breiten Öffentlichkeit nähergebracht wird, ist in der deutschen Museumslandschaft herausstechend und ungewohnt mitreißend. Nun wird sukzessive die neue Dauerausstellung komplettiert. Den Verantwortlichen war dabei von Anfang an klar: Um Laien für den Erkenntnisreichtum, der mit den vielen, wenig spektakulär wirkenden frühgeschichtlichen Artefakten verbunden ist, begeistern zu können, bedarf es mehr als umfassende Renovierungen und wissenschaftlich korrekte Zuordnungen. Anders, als zum Beispiel die ebenfalls im vergangenen Jahr wiedereröffnete Dauerausstellung des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte, zeigt dessen hallenser Pendant Mut, unbekannte Wege zu gehen. Die Öffentlichkeit dankt es mit hohen Besucherzahlen und begeisterten Kommentaren. Mit fantasie- und kunstvoll dargebotenen Bildfriesen und Inszenierungen werden die archäologisch bedeutsamen Funde in einen nachvollziehbaren Kontext gebracht. Allein die reichlich überstrapazierte Leuchtkastenästhetik wirkt etwas ermüdend und nimmt den bestechend altmeisterlichen Illustrationen zugleich deren Charme. Der rühmliche Anspruch, dabei den Spagat zwischen präziser Wissenschaftlichkeit und lebendiger Vermittlung zu bewältigen, gelingt jedoch nicht uneingeschränkt. Wer genau hinsieht muß sich auch wundern. Schon in der ersten neueröffneten Abteilung des Museums (Alt- und Mittelpaläolithikum) wurde uns die Frau als Teil der Menschheitsgeschichte nicht vorenthalten. Das ist erfreulich, dürfen wir doch mittlerweile selbstbewußt eingestehen, daß wir die Herausforderungen des Erdenreichs nicht ohne unseren weiblichen Gegenpart bewältigen konnten und können. Nun hockt sie also, die Neandertalerin der Figurengruppe in der Rotunde der hallenser Dauerausstellung, neben dem Neandertaler-Mann und sieht zu ihm auf. Während er – seine Körperhaltung nicht verändernd – den Blick zu ihr herabgesenkt hat. Aus der Tiefe des Raums kommend, ruht die erfahrene Hand des Stammvaters auf der Schulter des im Zentrum stehenden Mannes. Ein vorgeschichtlicher „handshake“ zwischen den Generationen, der uns lehrt, daß Evolution nicht mit Tradition verwechselt werden sollte? Aus vorschriftlicher Zeit berichtend, hat man sich in Halle ganz auf das Bildhafte konzentriert und interpretative Inszenierungen gewagt, bis hin zu exakten Datumsangaben. Den ergänzenden Texten, die sich recht lieblos und unumgänglich wie Beipackzettel an die Wände pressen, gelingt es kaum den subjektiv erscheinenden Verbildlichungen einzelner Motive mit ihren informativen Inhalten zu trotzen. Dabei folgt die Ausstellung auch immer wieder der Ästhetik des musealen „White Cube” in der die Kunstwerke der Moderne wie unter einem Mikroskop, in Reinraumatmosphäre zum Sezieren vorpräpariert, bereitliegen. Diese kalkweiße Kühle steigert die suggestive Wirkung der aufwendigen und komplexen Bild(„re“)konstruktionen um so mehr. Es bedarf jedoch keines „Comic-Sachverständigen” (Berliner Zeitung, 11.12.04) um den Eindruck zu gewinnen, daß es sich auch bei den Abbildungen der Jägerin aus der Ilsenhöle um eine ästhetisch in die Tage gekommene und dabei doch auch recht peinliche Männerfantasie handelt. Sind auch das die Lehren, die der Kultusminister von Sachsen-Anhalt, Jan-Hendrik Olbertz den Schülern Mitteldeutschlands angedeihen lassen will, wenn er empfiehlt die Ausstellung in den Schulunterricht zu integrieren? Die Ausstellungsmacher wollten, nach eigenen Angaben, der Frau durch deren Repräsentation in der Ausstellung Bedeutung verleihen. Leider haben sie ihr wieder nur einen Platz zugewiesen. Die Frau das unbekannte Wesen: Unterworfene oder übernatürliches Superweib? Wir waren doch bereits weiter! Gerade und vor allem in den ostdeutschen Bundesländern. Oder sind das am Ende doch wissenschaftlich belegbare Gewißheiten? Man sieht es in Halle sportlich und spricht von musealer „Champions League“. Bei all der berechtigten Zustimmung zum eingeschlagenen Weg, sind derart unkritische und plakative Darstellungen aber mehr als ärgerlich. Gilt es doch nicht zuletzt auch den öffentlichen Bildungsauftrag zu erfüllen, dabei darf Publikumsnähe nicht mit Pathos, Verklärung und neuerlicher Mythenbildung verwechselt werden. E. Messerschmid