"Verursacherprinzip", um Kosten für archäologische Forschung auf Bauherren abzuwälzen?

Hallo Forum,

ich wohne in einem sehr kleinen Dorf aber genau hier gab es vor sehr, sehr langer Zeit eine bedeutende Stadt. Bei beinahe jedem Bauvorhaben stößt man auf Relikte der Vergangenheit. Gerade heute wieder berichtet unsere Tageszeitung von Ausgrabungen an einem mittelalterlichen Fund, der im Zuge einer Baumaßnahme offenbar wurde.

Des Weiteren weiß die Zeitung zu berichten, dass die Kosten für die umfangreichen Ausgrabungsarbeiten der Bauherr tragen müsse. Es gelte angeblich das “Verursacherprinzip”. (Verursacher waren ja wohl einige Menschen vor ca. 1000 Jahren…?)

Wie ist es denn jetzt wirklich? Stimmt das so?

Falls ja, steht ja wohl zu befürchten, dass durch die Regelung der Wissenschaft mehr Funde verloren gehen als durch Sondengänger.

Gruß, Stefan

@Scopa_Magica

Das stimmt wirklich und deswegen hat es schon viele Gerichtsverfahren gegeben. Die Kosten werden aber nach dem Zumutungsprinzip festgelegt. 

Lies Dir das mal durch :

Die jeweilige Bestimmung ist Ländersache und steht im jeweiligen Denkmalschutzgesetz.

§ 29 Abs. 1 DSchG NRW

‘Wer […] ein eingetragenes Denkmal oder ein eingetragenes oder vermutetes Bodendenkmal verändert oder beseitigt, hat die vorherige wissenschaftliche Untersuchung, die Bergung von Funden und die Dokumentation der Befunde sicherzustellen und die dafür anfallenden Kosten im Rahmen des Zumutbaren zu tragen’.  

Gruß
Kurti

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Das mit dem Verursacherprinzip ist schon richtig. Die Verursacher sind aber nicht diejenigen, die “die Relikte hinterlassen haben”. Die Ausgrabungen werden ja nicht dadurch notwendig, dass die Relikte da sind, sondern weil diese durch ein geplantes Bauvorhaben mutmaßlich zerstört werden würden. Deshalb müssen diese vor ihrer Zerstörung dokumentiert werden. Damit hat das Bauvorhaben die archäologischen Untersuchungen verursacht.

Würde nicht dort gebaut werden, wo (prä-)historische Zeugnisse im Boden liegen, müssten diese auch nicht ausgegraben werden. Schließlich haben sie ja schon hunderte oder tausende von Jahren dort mehr oder weniger gut überdauert.

Die allermeisten Ausgrabungen werden nicht deshalb durchgeführt, weil Archäologen etwas erforschen wollen. Vielmehr ist es so, dass diese ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen, die Zeugnisse der menschlichen Geschichte zu dokumentieren, bevor diese (z.B. aufgrund von Baumaßnahmen) unwiederbringlich verloren gehen.

Es geht also nicht darum, Kosten für die Forschung auf die Bauherren abzuwälzen. Es geht vielmehr um eine Beteiligung an den Kosten für die Dokumentation, die nur deswegen notwendig wird, weil jemand genau dort bauen will, wo sich Denkmale befinden. Diese Kostenbeteiligung bewegt sich, wie @kurti  schrieb, im Rahmen des (für den jeweiligen Bauherren) Zumutbaren.

Was das mit Sondengängern zu tun hat, erschließt sich mir übrigens nicht so recht …

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@“a.brunn”

Hallo Andreas,

Was das mit Sondengängern zu tun hat, erschließt sich mir übrigens nicht so recht …

Stefan meint wohl, dass Häuslebauer einen Fund verschweigen und verschwinden lassen.

Es gibt im Gesetz aber eine klare Aussage dazu :

“Wer ein _ eingetragenes Denkmal _ oder ein _ eingetragenes oder vermutetes Bodendenkmal _ verändert …”

Dementsprechend fiel auch folgendes Urteil aus:

ZITAT:

Nach diesem Urteil des BayVGH vom 4. Juni 2003, das in Tenor und Begründung in der Tradition der aktuellen Rechtsprechung in anderen Ländern in der Bundesrepublik Deutschland steht (vgl. u.a. OVG Koblenz, Urteil vom 5.Februar 2003, DVBI 2003, 811-816; VG Magdeburg, Urteil vom 26. Februar2002, EzD 2.3.4 Nr. 6), ist dann, wenn jemand _ in Kenntnis des Vorhandenseins von Bodendenkmälern _ die Planung für eine Fläche, in der Bodendenkmäler vermutet werden, betreibt, dieser als Veranlasser der Grabungen anzusehen… ENDE

Hier mußte die Gemeinde zahlen weil auf dem geplanten und zur Bebauung ausgewiesenen Grund Bodendenkmäler zu vermuten waren, obwohl das Denkmalamt den Grabungsauftrag erteilt hatte.

Also Augen auf beim Grundstückskauf !!! :wink:

Die Gemeinden oder sonstige Grundstückseigner können die Kosten anteilig weitergeben.Vorsichtshalber also fragen, denn sonst riskiert man einen Rechtsstreit.

Gruß

Kurti

Für die Archäologie ist doch jede verloren gegangene Fundstelle eine (meist nicht wahrgenommene) Tragödie. Ob der Verlust durch Sondengänger oder durch Baggerfahrer (die nicht genau hinsehen dürfen) entsteht, ist ja zunächst mal ohne Belang. Vielleicht ist aber das Wegsehen beim Baggern soviel schädlicher, weil juristisch schwer nachweisbar und weil man nur wenig kriminelle Energie dafür braucht. Möglicherweise reicht schon etwas Selbsterhaltungswillen für solche Handlungen.
Ich will das weder gut heißen noch rechtfertigen. Wir, die wir uns hier als Archäologieinteressierte unterhalten, dürfen aber auch nicht übersehen, dass dieses Thema nicht bei jedem einen hohen Stellenwert hat.

Ein seriöser Wissenschaftler arbeitet daran, das Wissen zu vermehren. Wenn es aufgrund widriger Mittelverteilung zu einer Situation kommt, in der ein Wissenschaftler sagt: “Eigentlich wollen wir den Fund ja gar nicht bergen und unser Wissen vermehren, aber wir müssen ja…”, dann ist das in meinen Augen der Versuch, die bestehende Verursacherprinzip-Praxis zu rechtfertigen .

Folgende Kostenverteilung wäre nach meinem Empfinden gerechter: 1/3 Landesarchäologie, 1/3 Gemeinde, 1/3 Bauherr. Das käme in meinen Augen dem wirklichen Verursacherprinzip recht nahe.

Gruß, Stefan

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Da ich ja auch zertifizierter Sondengänger in BW bin, ist bei Schulungen auch des öfteren diese Problematik angesprochen worden.

Hier wurde uns gesagt, dass der einfache “Privat-Häuslebauer”, zumindest in BW, außer einer evtl. Bauverzögerung, nichts zu befürchten hätte.

Bei einem großen Wohnkomplex oder einer Industrieanlage, die durch “gewerbliche Bauherren” durchgeführt werden, werden diese allerdings zur Kasse gebeten.

Und hier, bei gewerblichen Bauvorhaben, wird mit Sicherheit genug Schindluder getrieben,

frei nach dem Motto, mach da mal schnell Dreck drauf, damit es keiner sieht.

Der Nutzer und alle zugehörigen Inhalte wurden gelöscht.

@Sixpack

_Hier wurde uns gesagt, dass der einfache “Privat-Häuslebauer”, zumindest in BW, außer einer _
evtl. Bauverzögerung, nichts zu befürchten hätte.

Das ist leider nicht überall so und hängt viel von dem Beamten ab der die “Zumutbarkeit” prüft.

ZITAT aus obigem Pressematerial der DGUF:

Um den Verursacher vor ausufernden Kosten der Denkmalpflege zu schützen, kennt das Gesetz den Begriff der “Zumutbarkeit”. Diese Zumutbarkeit muss allerdings unter Berücksichtigung der jeweiligen Situation entschieden werden und ist deshalb häufig Anstoß für Diskussionen. ENDE

Vom Gericht sind jetzt die maximal 15% in die Welt gesetzt worden und da bei den meisten LfD`s ohnehin kein Geld da ist, wird der Beamte die 15% auch voll ausschöpfen müssen, wollen, können, sollen. :sunglasses:

Das mit dem “Verursacherprinzip” kann man drehen und wenden wie man will. Die Essenz ist immer die gleiche, dem Begüterten tuts nicht weh, aber dem kleinen Mann schon, der sein Häusle mühselig abzahlen und das nötige Grundkapital zusammenkratzen muß.

Besser wäre m.E. eine Umlage auf alle Baugrundstücke, z.Bsp. im Rahmen der Grunderwerbssteuer.

Der von mir oben angeführte Gerichtsentscheid, dass die planende Gemeinde die Kosten trägt, ist m.E. schon mal der richtige Ansatz. Wenn auf einem solchen Areal 50 Bauparzellen ausgewiesen werden, dann werden z.Bsp. 100.000 € für eine Prospektion und Ausgrabungen auf die 50 Käufer der Baugrundstücke verteilt. Nach Adam Riese nur 2000 € für jeden Häuslebauer. Das ist doch besser, als dass z.Bsp. nur 4 Bauherrn zahlen, weil sie das Pech haben, dass gerade auf ihren Grundstücken so ein blöder Römer vor 1800 Jahren seine Villa gebaut hat. :stuck_out_tongue:

Ich würde ja den Nachfolgestaat Italien verklagen. Sollen die doch ihren Bauschutt gefälligst von meinem Grundstück entfernen ! :angel:

Grundsätzlich bin ich ohnehin bei Bodendenkmalen, die schon in hinreichender Zahl ausgegraben und erforscht wurden dafür, dass sie nur registriert und wieder versiegelt werden. Ist bei den LfD`s, wo es eben geht, ja auch schon vielfach die Praxis.

Gruß

Kurti

Meines Erachtens sollte es langsam mal gut sein, mit dieser Rechtsauslegung. Die Funde und Erkenntnisse die bei solchen Prospektionen gemacht werden, liegen schon in millionenfacher Ausführung in Magazinen und Archiven… Ich arbeite selbst in der Denkmalpflege und weiß wovon ich rede. Die Ergebnisse solcher Grabungen sind nur für einen sehr überschaubaren Anteil der Bevölkerung relevant und von dem finanziellen Aufwand für den Steuerzahler möchte ich garnicht anfangen. Wir müssen da sehr darauf schauen, das wir das Verständnis der Bevölkerung dafür, nicht vollends verlieren. Oder wie sagte ein privater Häuslebauer zu uns als wir eine baubegleitende Grabung auf seinem Grundstück durchführten:“Für solche Dinge hat der Staat Geld und auf der anderen Seite müssen die Eltern die Farben für das Klassenzimmer ihrer Kinder bezahlen.”

Hallo Little Joe,

ich stehe als Archäologe am Anfang der Kette, deren Ende du als unnützer Datenmüll zusammenfasst.
Ich möchte aber auf ein paar wichtige Dinge hinweisen.
Was letztendlich in den Archiven landet, stellt nur einen kleinen Teil der Funde und Befunde dar, alles andere konnte durch die Baubegleitungen als nicht wirklich wichtig ausgeschieden werden.
Die Gesetzeslage schreibt nur eine Dokumentation der archäologischen Untersuchungen vor, eine Auswertung, wie z.B. von der Unesco als Standard gefordert, findet nur unbezahlt oder mit Drittmitteln statt.
Welchen Sinn archäologisches Arbeiten heutzutage hat, ist eine schwer zu klärende Frage. Noch schwieriger dürfte es sein, eine funktionierende Verbesserung des Systems zu erfinden.
In meinem Erleben sind die Kosten für die Bauherren eher zweitrangig, die Verzögerungen sind entscheidender.

viel Spaß

Uwe

Moin Uwe,
die Verzögerungen sind meist mit Kosten verbunden…
Bei uns in der Landkreisdenkmalpflege, ich arbeite dort als Restaurator, wird jede Scherbe, jeder Abschlag und was sonst noch alles anfällt, dokumentiert und gereinigt und letztendlich eingelagert. Diese Funde liegen dann Jahrzehnte/hunderte unbeachtet im Magazin, kosten nur Geld (Klimatiesierung, Verpackung etc.). Und das dann tonnenweise. Ein wirklich herausragender Fund oder Befund habe ich in dreißig Berufsjahren einmal erlebt. Es verschwindet ales im Magazin, bzw. die Dokumentation im Archiv. Das kann so nicht weiter gehen. Da benötigen wir eine andere Gesetzgebung. Durch Führungen in unserem Haus, erlebe ich immer häufiger in der interessierten Bevölkerung, ein wachsendes Unverständnis für diese Vorgehensweise. Diesem müssen wir uns auch stellen, schließlich finanzieren sie uns ja. Auf Unverständnis stößt auch die Tatsache, dass der Denkmalpflege mehr Bedeutung angemessen wird, als dem Naturschutz. (In unserem Landkreis) Windparks werden nicht genehmigt wegen Bodendenkmalbeeinträchtigung usw. Es wird höchste Zeit, dass unser Wirken auf den Prüfstand gestellt wird und zwar von allen daran beteiligten.
Gruß
Johannes

Hallo Johannes,

bei mir ist erheblich mehr zusammengekommen, aber die Masse der Maßnahmen hat nur digitale Spuren hinterlassen.
Meiner Meinung nach müsste der Ausgräber zwingend eine Auswertung vornehmen. Erst danach kann entschieden werden, was aufbewahrt wird und was nicht.
Bisher regiert die Hoffnung, eifrige Studenten würden irgendwann all die Grabungen auswerten und veröffentlichen.
Wie es anders gehen kann, auch oder gerade aus privater Initiative sieht man hier: http://www.germanische-siedlung-klein-koeris.de

Zwischen der Baubeobachtung bei einem EFH, ohne Ergebnis, und einer jahrelang durchgeführten Plangrabung mit Auswertung ist natürlich ein erheblicher Unterschied. Auch kleine Hinweise können sich aber zu größeren Bildern verdichten.

Eigentlich stimmen alle zu, dass die Ergebnisse der Denkmalpflege generell zurück in die Öffentlichkeit gehören. Und der Punkt ist in Deutschland noch sehr ausbaufähig.
Trotzdem Kopf hoch

viel Spaß

Uwe